„Ihr Kärntner seid’s in den Ferien sogar zu faul zum Morden“, sagte Nicole Breitling und sah ihren Kollegen Slavik abschätzig an. Die Chefinspektorin hatte ihre Beine auf seinen Bürosessel gelegt, der schlaksige Slavik lehnte unsicher an seinem Schreibtisch und wagte es nicht, den Stuhl zurück zu fordern.
„Wir sind eben ein gelassenes Volk“, sagte er schwach. Mit einem Seufzer nahm er all seinen Mut zusammen und griff schüchtern nach der Sessellehne.
„Endlich“, murmelte Breitling und zog ihre Beine zurück. „Ich dachte schon, Sie lassen sich alles gefallen.“
Slavik versuchte zu grinsen. Es gelang aber nicht. Deshalb trat er die Flucht nach vorne an. „Es ist egal, was ich mache. Sie benehmen sich sowieso wie ein Drache. Wenn ich mich nicht gegen Sie wehre, quetschen Sie mich mit Ihren Krallen. Und wenn ich Widerstand leiste, verbrennen Sie mir mit Ihrem Feueratem auch noch das Gesicht.“
Breitling nickte anerkennend. Offenbar verstand Slavik sie doch besser, als sie gedacht hatte. Langsam begann sie diesen Zahnstocher auf zwei Beinen zu mögen.
Eine halbe Stunde später ärgerte sie sich über die Bemerkung mit der mörderischen Faulheit. Eben hatte sie sich in Schminktipps auf YouTube vertieft, da läutete das Telefon und ihr Vorgesetzter faselte etwas von einer Wasserleiche in einem Dorf nördlich von Klagenfurt.
„Auf nach Moosburg, Slavik!“ rief sie und warf ihrem Kollegen die Autoschlüssel zu. „Sie fahren!“
„Darf ich wirklich?“ fragte Slavik ungläubig.
„Ja, ich muss mich noch schminken“, sagte Breitling und stemmte sich schwer atmend aus ihrem Sessel.
Zwanzig Minuten später bogen sie von einer schmalen Straße hinter dem Golfplatz Pörtschach zu einem Anwesen ein. Das Eisentor stand offen, nach einer kurzen Auffahrt hielten sie vor einem wunderschön renovierten alten Kärntner Haus mit schwarzen Holzbalken und weißem Mauerwerk. Ein Uniformierter wies ihnen den Weg um das Haus herum in Richtung Garten.
„Slavik, Sie gehen zehn Meter hinter mir. Wenn ich mal guter Laune bin, sage ich Ihnen warum“, befahl sie ihrem Kollegen. Er gehorchte widerstandslos. Dabei war die Sache so einfach. Mit ihren 15 Kilogramm Übergewicht fürchtete sie, neben dem ausgezehrten Slavik nicht nur mollig, sondern dick zu wirken. Deshalb besser ein Auftritt alleine.
Hinter dem Haus öffnete sich eine großzügige Rasenfläche, an deren Seiten Unmengen von Blumen blühten, dahinter grenzten Fichten den Garten ein, sodass ein großer, grüner Hof entstand. Auf einer Decke neben dem Pool sah Breitling eine aufgeblähte Leiche liegen. Sofort blieb sie stehen. Wasserleichen waren nicht ihre Stärke. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, kam ihr der Gerichtsmediziner Dr. Weißmann entgegen. „Ja, Frau Chefinspektor, ich habe auch lieber die Toten mit CO2-Vergiftung. Die schauen so gesund und rosig aus.“ Er lachte und hob die Hand zum Gruß.
„Badeunfall?“, fragte sie und musste unwillkürlich wieder einen Augenblick zum Toten sehen.
„Ja, dachte ich auch“, sagte Weißmann und lächelte sie an. Sie vergaß kurz, weiter zu fragen. Weißmanns Blick verschlug ihr die Sprache. Dann gab sie sich einen Ruck. Wo kam sie denn hin, wenn sie einem Mann wegen eines Lächelns so viel Macht über sich gab. Das mit der Liebe war sowieso immer ein Reinfall. Sie versuchte an ein doppelt paniertes Schnitzel zu denken.
„Wir sollten einmal miteinander essen gehen, Nicole“, sagte Weißmann und strich sich über seine kurzen blonden Haare.
„Oh Gott“, murmelte Breitling. Ein Mann, der ihre Gedanken lesen konnte, das war sowieso das Allerschlimmste.
„Sagen Sie doch lieber Leon zu mir“, grinste der Arzt nun wieder.
Reflexartig streckte sie ihm die Hand hin. Und ärgerte sich im selben Augenblick, dass sie sich vom Weißkittel so einfach über den Tisch ziehen ließ.
„Ich dachte auch an einen Badeunfall“, griff Weißmann die ursprüngliche Frage auf, als hätte nie ein privates Intermezzo stattgefunden. „Aber dann habe ich in den Augen des Toten Einblutungen gefunden, wie sie typischerweise durch Strangulation entstehen. Und es gibt auch dezente Würgemale am Hals des Toten. Ich denke, er hat noch gelebt, als er ins Wasser geworfen wurde, war aber wohl bewusstlos. Wahrscheinlich gestern Abend. Die Totenstarre hat sich auch schon wieder gelöst. Aber um Genaueres zu sagen, muss ich mich noch mit den nächtlichen Temperaturen und der Wassertemperatur beschäftigen und ein paar Formeln damit füllen.“
Er tappte ihr freundlich auf die Schulter und schnupperte kurz. „Du hast Convallaria aufgetragen, stimmt‘s?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er zurück zum Pool.
„Der Tote heißt Peter Sonnenfels.“ Wie aus dem Nichts war Slavik neben Nicole Breitling aufgetaucht. „Er ist Apotheker. Ihm gehört die team santé apotheke wieneu in Wiener Neudorf. Er hat das Haus mit seiner Frau für zwei Wochen gemietet.“
„Das heißt, wir müssen uns in den nächsten Tagen auch am Balkan wichtigmachen. Das hat uns gerade noch gefehlt.“ Breitling deutete in Richtung Haus. „Jetzt stellen wir mal das idyllische Refugium hier auf den Kopf und suchen nach der Frau.“
„Da drinnen schaut’s aus, dass einem schlecht wird.“ Slavik deutete ins Innere des Kärntnerhauses.
Chefinspektorin Breitling starrte noch immer aus sicherer Entfernung auf die Wasserleiche, die eben in einen Zinksarg gehoben wurde. Wortlos ging sie hinter ihrem Assistenten ins Haus. In der rustikalen Wohnküche lag jede Menge Geschirr zerbrochen auf dem Boden. Die Türen zu den zwei Vitrinen standen offen, ebenso wie eine Reihe von Läden, aus denen jemand Tischwäsche herausgerissen und dann auf den Boden fallen hatte lassen.
„Scheint, als hätte der Mörder etwas gesucht“, schloss der hagere Slavik.
Breitling seufzte und fühlte sich plötzlich wie die Milde in Person. „Schauen Sie, Sie Zahnstocher von einem Hercule Poirot: Peter Sonnenfels war hier nur Sommergast. Was sollte der denn hier versteckt haben, wenn er als Apotheker nicht gerade mit Aufputschmitteln gedealt hat? Oder anders gefragt: Wie sieht es denn im ersten Stock aus?“
„Da ist alles in Ordnung“, sagte Slavik leise.
„Eben. Entweder war unser Mörder so beleibt, dass er es nicht ins Obergeschoß hinauf schaffte. Oder aber der Saustall hier ist alles nur Inszenierung.“
„Damit er uns auf eine falsche Fährte lockt“, setzte Slavik den Gedanken fort.
Breitling lächelte. „Sie sind mir aber auch ein Blitzgneisser!“
Slavik zog unwillkürlich den Kopf ein, weil er auf das Lob hin sofort den nächsten Schlag fürchtete. Mit Unbehagen sah er zum Golf-Bag, das in einer Ecke lehnte. Wer wusste schon, ob die verrückte Breitling nicht einfach nach einem Schläger griff und ihm mit dem Sechser-Eisen eins überzog, weil sie gerade irgendeinen Kummer hatte.
Aber nichts passierte. Stattdessen klopfte ihm Nicole Breitling auf die Schulter. „Kommen Sie, wir suchen jetzt einmal das Handy von Sonnenfels.“
Eine halbe Stunde später gaben die beiden Kriminalisten ihre Suche auf. Das einzig relevante Fundstück war ein aus einem A4-Heft herausgerissener Zettel. „Bin bei Nina im Wienerwald, Unterschrift Conny“, las Slavik laut vor. „Conny ist die Frau von Peter Sonnenfels.“
„Na so ein Zufall aber auch. Grad wenn der Gatte gewaltsam das Zeitliche segnet, ist die Ehefrau bei ihrer Freundin oder sonst wem. Beziehungsweise müssen wir diese Conny mal eindringlich fragen, warum sie exakt jetzt Urlaub vom Urlaub macht.“
Breitling setzte sich in Bewegung. „Hol schon mal den Wagen, Slavik.“
„Mach ich, Derrick!“
Wieder nickte Breitling anerkennend. Langsam begann sie Slavik zu mögen. Ab und zu begriff der Mann sogar einen Schmäh. Vom Auto aus würde sie die Adresse von Nina herausfinden und die Handydaten von Sonnenfels bei seinem Telekomanbieter anfordern.
Fast fünf Stunden später bogen sie ein paar Kilometer hinter der A21-Abfahrt Hochstraß zu einem Neubau ein – ein schicker Kasten aus Holz und Glas mit reichlich Grünfläche. Der Rasen war erst frisch angesät worden, die Einfahrt zur Dreifachgarage noch nicht fertig gestellt.
Der Mann, der sie ins Haus führte, stellte sich mit Marc Lahnsteiner vor. Die frische Witwe, Conny Sonnenfels, eine großgewachsene Brünette mit üppiger Oberweite, saß neben Nina Lahnsteiner in einem tiefen Fauteuil. Die beiden Frauen waren über ein Tablet gebeugt.
„Wir sind beim Shoppen. Peter und ich wollten unsere Wiener Altbauwohnung neu einrichten“, sagte Conny Sonnenfels und legte den Computer beiseite. Groß schien die Trauer bei der Frau des Apothekers nicht zu sein.
Nach ein paar halbherzigen Höflichkeitsfloskeln hielt sich die Chefinspektorin nicht mehr mit Small Talk auf und fragte Sonnenfels, wann sie ihren Gatten zum letzten Mal lebend gesehen hatte.
„Vor zwei Tagen. Nina hat mich kurzfristig zu einer Party eingeladen.“ Wie zur Bestätigung nickte die Freundin an ihrer Seite. „Die spontane Feier ist dann zwar etwas sehr klein geraten“, sagte Sonnenfels mit einem Nebenblick auf Nina, „aber wenn eine Freundin ruft, dann kommt man doch, oder?“
Breitling runzelte die Stirn. „Auch aus dem Urlaub?“
„Ach, wissen Sie, Peter wollte ohnehin nur golfen. Das Ferienhaus liegt ja direkt am Golfplatz von Pörtschach.“
„Sie hatten offenbar eine sehr innige Beziehung“, ätzte Slavik plötzlich aus dem Hinterhalt.
Sonnenfels nickte. „Ja, wir haben die Vorliebe für teure Urlaube geteilt.“
Breitling stemmte die Hände in ihre ausladenden Hüften und schloss kurz die Augen, um nicht zu explodieren. Diese blonde Bohnenstange mit ihren aufgespritzten Lippen ging ihr furchtbar auf die Nerven. Wenn sie Sonnenfels ansah, musste sie an Salat mit Putenstreifen denken. Das war kulinarisch das absolut Letzte. Und das machte diese Frau extrem verdächtig.
„Mein Kollege und ich gehen eine rauchen“, sagte sie schließlich und zog Slavik am Arm aus dem Zimmer.
Slavik zwinkerte ihr auf dem Vorplatz zu. „Das mit dem Rauchen war eine Finte, oder?“
„Bald nenne ich Sie Sherlock“, antwortete Breitling. Sie musste jetzt mal kurz nachdenken.
„Hier ist etwas faul, Slavik. Ich weiß bloß noch nicht was.“ Nicole Breitling sah angewidert auf den schicken Neubau im Wienerwald zurück. Da drinnen saß die Witwe von Peter Sonnenfels mit ihrer Freundin vor einem teuren Tablet-Computer und richtete sich bereits für ein Leben ohne Ehegatten ein. Der lag währenddessen wahrscheinlich schon mit geöffnetem Brustkorb in der Gerichtsmedizin in Graz unter dem Messer des Charmebolzen Dr. Weißmann.
„Ich habe schon Witwen gesehen, die unglücklicher waren“, sagte Slavik und kramte nach seinem Handy. „Ich glaube, wir sollten uns mal in der Apotheke in Wiener Neudorf erkundigen, wie das so war zwischen Conny und Peter Sonnenfels.“
„Bingo, Slavik. Denken Sie jetzt schon selbstständig?“
„Angesichts dessen, wie Sie sich dagegen wehren, mache ich das nur in Ausnahmefällen. Ich will ja nicht auf dem Seziertisch von Dr. Weißmann landen.“ Slavik grinste schief und erwartete den nächsten Schlag seiner Chefin. Vergeblich.
Breitling stand da und fand die Antwort richtig nett. Irgendwas mit ihren Hormonen musste durcheinander sein, wenn nicht noch was Schlimmeres. Die Antwort auf diese Frage interessierte sie im Augenblick mindestens genauso wie jene, wer Peter Sonnenfels in Kärnten stranguliert und dann im Pool versenkt hatte.
Kurz darauf hörten sie eine Autotür zuschlagen und Marc Lahnsteiner fuhr – sportlich und mit einem lässigen Winken – mit einem Porsche Cayenne an ihnen vorbei vom Grundstück. Die Chefinspektorin sah Slaviks sehnsuchtsvollen Blick in die Dreifachgarage. Einsam stand ein BMW-Cabrio zwischen den Sichtbetonwänden samt opulentem Holzdach.
„Autofetischist, Slavik?“
Der schüttelte den Kopf. „Bauchfetischist, wenn Sie Mut zu so viel Ehrlichkeit meinerseits haben. Aber falls Sie wissen wollten, ob ich schöne Autos mag: ja!“ Damit ging er gesenkten Kopfes zurück Richtung Haus.
Breitling folgte ihm wortlos. Seltsam. Schon wieder hatte sie kein Bedürfnis, Slavik auf irgendeine Art zu züchtigen.
Slavik stieß gleich beim Eintreten in die Wohnhalle gegen eine Art Hochglanzsekretär und fegte ein Fläschchen Johanniskrautöl und einen Stapel Visitenkarten zu Boden. Abwesend hob er alles wieder auf.
„Haben Sie Zahnweh?“, fragte er, ohne eine der beiden Frauen am Sofa anzusehen. Conny Sonnenfels und Nina Lahnsteiner manikürten gerade ihre Fingernägel.
„Nein, warum?“, antwortete die Witwe.
„Nur so.“
„Das Ferienanwesen, auf dem Sie, Frau Sonnenfels, und ihr Mann geurlaubt haben, hat etwas verwüstet ausgesehen. Was könnte der Täter allenfalls gesucht haben?“
Conny Sonnenfels zuckte mit den Schultern. „Vielleicht Bargeld. Mein Mann trug gern viel Bargeld mit sich herum. Aber das hat er nicht zur Schau gestellt. Also, keine Ahnung, wer davon gewusst haben könnte.“
„Könnte es auch sein, dass diese läppischen Zeichen eines Raubmordes nur eine Finte waren?“, hakte Slavik nach, während Breitling der Mund offenblieb, weil ihr Kollege das Wort „läppisch“ verwendet hatte.
„Wie meinen Sie?“, antwortete Sonnenfels, ohne ihre Nagelfeile aus dem Auge zu lassen.
„Naja, dass der Täter Ihren Gatten einfach nur beseitigen wollte … Aber was hätte der Mörder für einen Grund gehabt?“
Sonnenfels schüttelte wieder ratlos den Kopf. Auch in den nächsten Minuten brachten sie nichts aus der Witwe heraus, das ihnen geholfen hätte. Abgesehen vom Schlüssel zur Wiener Wohnung, den sie ihnen übergab.
„Warum haben Sie sich eigentlich nach dem Zahnweh erkundigt, Slavik?“, fragte Nicole Breitling, als sie wieder im Auto saßen. Sie hatte Slavik bereitwillig das Steuer überlassen.
„Weil die Visitenkarten am Boden fast ausschließlich zu Zahnärzten gehörten.“
„Interessant. Wissen wir eigentlich auch etwas über die Lahnsteiners?“
„Nur, dass Marc Lahnsteiner Versicherungsmakler ist. Entweder sehr erfolgreich oder er hat geerbt. Ich tippe aber auf neureich, wenn ich mir das Anwesen so anschaue“, antwortete Slavik. „Geht es Ihnen eigentlich schlecht? Oder sind Sie krank?“, fragte er plötzlich mit einem kurzen Seitenblick auf Breitling.
„Warum fragen Sie?“
„Weil Sie neuerdings so nett zu mir sind. Da habe ich mir schon Sorgen gemacht.“
Die Chefinspektorin grinste nur. Sie wusste selbst nicht, was los war. Es war ihr im Moment auch völlig egal, dass sich Dr. Weißmann nach seinen Avancen am Pool in Kärnten noch nicht gemeldet hatte, um das angedachte Abendessen in die Tat umzusetzen. Obwohl sie dazu schon gewisse Fantasien hatte.
Während sie in der Nähe des Belvedere einparkten, um in der Wohnung von Sonnenfels im vierten Wiener Bezirk nach Anhaltspunkten für sein gewaltsames Ableben zu suchen, piepste Breitlings Smartphone. „Das ist prima“, sagte sie beim Aussteigen. „Ihre Kärntner Kollegen, Slavik, haben einiges am Tatort gefunden, das uns helfen wird.“
„Was heißt, du hast jetzt keine Zeit mehr?“, fauchte Nicole Breitling ins Telefon. „Als Abteilungssekretärin hast du kein Privatleben, Miriam.“ Danach setzte der Verstand der Chefinspektorin aus. „Hab ich mich verhört, oder hast du wirklich gesagt, dass du jetzt mit Dr. Weißmann essen gehst?“ Wortlos legte sie auf.
Dieser Schuft von Weißmann, dieses Ekel in Weiß, dieser Medizin-Gigolo verführte doch tatsächlich die busenlose Miriam, die selbst für ein Magermodel zu wenig auf den Hüften hatte. Und sie dumme Gans hatte gedacht, er hätte wirklich Interesse an ihr, Nicole Breitling, dabei machte sich der Weißkittel einen Sport daraus, Frauen abzuschleppen. Hätte sie in diesem Augenblick dürfen, wonach sie sich fühlte: Weißmann hätte sich selbst nicht sezieren mögen.
„Da.“ Slavik hielt ihr Mannerschnitten hin. Wortlos brach sie sich vier Stück davon ab und schob sie gierig in den Mund.
„Danke“, murmelte sie nur und kramte nach dem Schlüssel für die Wohnung von Sonnenfels im vierten Wiener. „Der Weißmann hat übrigens einen abgebrochenen Fingernagel in der Leiche gefunden. Sobald er weiß, ob männlich oder weiblich meldet er sich“, gab sie den erfreulicheren Teil des Telefonats wieder.
Drei Stockwerke später keuchte Breitling wie ein Dampfross. Aber trotz der Atemnot musste sie sich auf das Durchsuchen der Wohnung des Toten konzentrieren, den sie vor kurzer Zeit in seinem Kärntner Urlaubsdomizil stranguliert im Pool gefunden hatten.
„Na bumm“, sagte sie nur, als sie die hohe Tür öffneten.
Slavik stieg vorsichtig über eine Dose mit der Aufschrift Essigsaure Tonerde. Wo auch immer sie hin blickten, lagen Papiere am Boden. Der Einbrecher musste sehr in Eile gewesen sein, sonst hätte er nicht dieses Chaos angerichtet. Oder hatte verzweifelt nach etwas gesucht. Wie im Haus in Kärnten, wo es ähnlich ausgesehen hatte.
„Da war einer schneller als wir.“ Breitling durchkämmte einige Räume, zog Bücher aus dem Regal im Arbeitszimmer, aber nirgends war etwas zu finden, was sie weitergebracht hätte. Auch Slavik kam mit hängenden Schultern zurück. Sie war jetzt mehrfach grantig: wegen Weißmann, wegen dem Chaos und weil sie Hunger hatte. Erschöpft räumte sie einen großen Polster beiseite und ließ sich in eine tiefe Ledercouch fallen, schrie jedoch sofort auf, weil sie auf etwas Hartem zu sitzen kam. Sie zog ein Handy unter ihrem Gesäß hervor. So fett konnte sie also noch nicht sein, dass sie nichts gespürt hätte unter ihren Rundungen.
Slavik nahm ihr das Gerät sofort ab. „Das könnte das Handy von Peter Sonnenfels sein. Wir haben in Kärnten keines gefunden.“ Weniger später steckte es an einem Ladekabel. Der Inhalt ließ sich auch ohne Code für die SIM-Karte lesen, weil Sonnenfels es nicht mit einem PIN geschützt hatte.
Sie brauchten nicht lange durch die WhatsApp-Nachrichten scrollen, und beider Gesichter leuchteten auf. „Bingo“, sagte Slavik nur und ging Richtung Ausgang.
Auf der Fahrt zurück in den Wienerwald klingelte Breitlings Handy erneut. Als sie „Weißmann“ auf dem Display las, gab sie es Slavik. Der nickte zu den Ausführungen des Mediziners nur. „Keine Ahnung, wo die Chefinspektorin ist“, sagte er schließlich. „Ich glaube, diese Nymphe treibt es gerade mit dem Hauptverdächtigen.“ Wortlos gab er Breitling das Handy zurück. Sie grinste über beide Ohren.
Es dämmerte bereits, als sie das Anwesen der Lahnsteiners erreichten. Dezent parkten sie mit Blick auf die Garage. Eine Viertelstunde später bog Marc Lahnsteiner auf sein Grundstück ein. „Los geht’s“, sagte Breitling.
Noch bevor Lahnsteiner aussteigen konnte, stieg die Chefinspektorin auf den Beifahrersitz, Slavik setzte sich in den Fonds. „Warum tragen Sie eigentlich Handschuhe?“, fragte er mit Blick auf Lahnsteiners Hände.
„Ein Ekzem“, antwortete der Versicherungsmakler kurz.
„Kann es sein, dass Ihnen ein Fingernagel eingerissen ist? Und dass Sie die Wunde mit Johanniskrautöl versorgt haben?“ Slavik wartete keine Antwort ab. „Wir können Ihnen den Fingernagel vor Gericht zurückgeben.“
„Was Sie für einen Blödsinn reden“, murmelte Lahnsteiner. Breitling zog das Handy von Sonnenfels hervor. Unglaublich schnell wandte sich der Mann zur Tür. Aber noch schneller drückte Breitling auf die Zentralverriegelung und hatte Lahnsteiner auch schon mit Handschellen ans Lenkrad gefesselt.
„Ihre Frau hatte also die Aufgabe, Conny Sonnenfels aus Kärnten wegzulocken. Sagen Sie uns einfach, warum Sie Sonnenfels stranguliert haben.“
„Er wollte sein Geld zurück, das ich mit Investitionen in Bitcoins verspekuliert habe. Ich hatte gedacht, ich mach den Ur-Reibach und gebe alles zurück. Dann sind die Kurse gepurzelt, auf ein Drittel.“
„Verstehe“, sagte Slavik, „das Modell hatten sie auch den Zahnärzten angeboten, von denen ich so viele Visitenkarten gefunden habe. Aber bei denen war es Schwarzgeld. Die haben sich wohl weniger laut beschwert.“
Lahnsteiner nickte.
Breitling hob die offene Hand in Richtung Slavik. Der schlug mit einem lauten Klatschen ein. Was für ein sympathischer Kerl, dachte sie.