Wie kam sie eigentlich dazu, in diesen gottverlassenen Wallfahrtsort zu fahren? Nur weil ein paar Apotheker aus Kärnten und der Steiermark meinten, mal abseits ihrer Cremen und Pillen die Sau rauslassen zu müssen und dann auch gleich einer über den Jordan ging. Im Urtlgraben war ihr Audi ein paarmal fast aufgesessen. Und noch immer ging es auf der Schotterstraße durch den Wald. Isolde Breitling fluchte. Es war eine dumme Trotzreaktion gewesen, sich aus Salzburg nach Klagenfurt versetzen zu lassen. Als hätten die dort auf eine füllige Chefinspektorin wie sie gewartet. „Mia samma mia jo eh gnuag Leit“, hatte sie der Diensthabende begrüßt. Aber wenn es etwas zu tun gab, dann schickte man sie. Und das alles nur wegen Johann Kretzmayer, diesem unwürdigen Kretin von einem Mann. Er hatte fünf Jahre kein Kind mit ihr gewollt. Weil sie ja so viel freier miteinander leben konnten, wie er sagte. Gut, das hätte sie zur Not noch akzeptiert. Aber dass er sie vor sieben Monaten verlassen hatte, war nicht ausgemacht gewesen. Nicht einmal wegen einer unterernährten Gräte von 25 Jahren. Nein, wegen einer älteren Frau, einer 41-Jährigen. Das war allein schon eine Zumutung, vor allem, weil diese Frau noch molliger war als sie, Isolde.
Aus Protest hatte sie sofort ihr Abo im Fitnesscenter gekündigt. Aber dass die Zweitfrau jetzt im fünften Monat von Johann Kretzmayer, dem vorgeblichen Kinderverweigerer, schwanger war, das schlug dem Fass den Boden aus.
Endlich lichtete sich der Wald und sie sah die mächtige Kirche von Maria Waitschach oben am Hügel. Sie ersparte sich unnötige Fußwege und parkte auf dem Rasen vor dem Gasthaus.
Jemand hatte den Körper vor dem Karner mit einem weißen Tischtuch zugedeckt. Ein „unklarer Todesfall“, wie sie das nannten. Wahrscheinlich ohnehin nur ein Herzinfarkt. Aber anschauen musste man sich die Sache dennoch.
Ein Mann und eine Frau standen neben den grasbewachsenen Stufen zum Knochenhaus und wachten über der Leiche. Die beiden waren Apotheker aus den zwei team santé apotheken aus Wolfsberg.
„Haben Sie gesehen, warum die Frau hier zusammengebrochen ist?“, fragte Breitling nach einer kurzen Vorstellungsrunde.
Magister Mälzer, ein grauhaariger Mittvierziger, schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe sie hier gefunden. Wollte mir mit Bettina“, er deutete auf die zierliche Apothekerin an seiner Seite, „die Füße vertreten.“
Isolde Breitling schlug das Tischtuch zurück. Zum Vorschein kam eine ausnehmend hübsche Frau mit langen gelockten Haaren. Sie war klein und maximal dreißig Jahre alt. Viele Textilien hatte sie nicht an ihren Körper verschwendet. Sie trug einen Desigual-Rock, der über dem Knie endete, und ein enges, schulterfreies rotes Top. Zur Überraschung der Chefinspektorin wirkte die Frau unglaublich entspannt. Zu entspannt. Nach einem Herzinfarkt sah das nicht aus. Die Frau war viel zu jung dafür.
„War sie schon tot, als Sie sie gefunden haben?“, fragte Isolde Breitling.
Magister Mälzer nickte. „Ich habe versucht sie wiederzubeleben. Aber da war nichts möglich. Wir haben dann gleich Dr. Liebeskind geholt. Das ist der Mann von der Apothekerin aus Hausmannstätten. Der konnte aber auch nichts mehr machen.“
Breitling kniete sich vor die Leiche der jungen Frau, zog mit einem unwirschen Klatschen Einmalhandschuhe über und spreizte die Lider der Toten auseinander. Die Pupille war unnatürlich geweitet. Irgendetwas stimmte hier nicht. Es roch nach Arbeit.
„Die Tote heißt übrigens Jessica Köhlmeier. Sie ist Apothekenhelferin bei meiner Kollegin.“ Magister Mälzer deutete auf die schlanke Frau an seiner Seite, die die activa apotheke in Wolfsberg leitete. Hastig schob er ein Stück Kaugummi in den Mund. Breitling registrierte mit einem Schmunzeln, dass es Nikotinersatz war.
Langsam strich die Chefinspektorin über den rechten Arm von Jessica Köhlmeier. Ihr Blick blieb am Unterarm hängen. Dann stand sie unsportlich auf. „Holen Sie mir bitte den Arzt, von dem Sie vorhin geredet haben.“
Dr. Liebeskind hatte die 50 schon deutlich überschritten. Er hatte sich den Kopf kahlrasiert, was ihn etwas jünger machte, aber der graue Bart verriet sein wahres Alter.
„Was haben Sie der Frau eigentlich gespritzt?“, fragte Yvonne Breitling kalt, da sie Medizinern grundsätzlich mit Misstrauen begegnete.
„Gar nichts“, sagte der Glatzenbär. „Weder vorhin, noch als ich sie gefunden habe.“
„Und wie erklären Sie sich dann die frische Einstichstelle am Arm?“
„Ich erkläre mir gar nichts. Das Erklären müssen Sie schon selbst übernehmen. Ich hatte heute zweimal mit Jessica Köhlmeier zu tun. Einmal, weil sie sich unwohl fühlte. Das war vor drei Stunden, nach dem Mittagessen. Ich habe ihr Paspertin-Tropfen gegeben. Sie hatte es wohl mit dem Schweinsbraten etwas übertrieben. Aber Schweinsbraten ist meist nur langfristig lebensbedrohlich, wie Sie wissen.“ Dabei sah Dr. Liebeskind länger als angebracht an Isolde Breitlings üppigem Körper hinunter. Sie konnte nicht deuten, ob mit einem kritischen Medizinerblick oder einer Spur Interesse. „Als ich Jessica das zweite Mal sah, lag sie schon tot da“, setzte Liebeskind fort.
„Gut, dann hole ich jetzt die Spurensicherung und rufe die Gerichtsmedizin an. Sie alle von der Apothekersause halten sich zu meiner Verfügung“, sagte Breitling und griff nach ihrem Handy.
Nicole Breitling stand etwas ratlos vor der Tür zum Seziersaal. Nicht, weil sie Hemmungen hatte, Doktor Weißmann beim Zerteilen seiner Leiche zu stören, sondern weil ihr der Geruch des Formalins noch immer nicht ganz bekam. Dieser Gestank hier in der Grazer Gerichtsmedizin ruinierte doch tatsächlich ihr anhaltendes, fast ekstatisches Wohlbefinden nach dem Saibling mit Polenta, den ihr die Apotheker gestern in Maria Waitschach noch aufgewartet hatten. Da Erste Hilfe bei Nicole Breitling ohnehin nichts mehr genützt hätte, hatte sie sich kurzerhand ins Wirtshaus gesetzt, bis die Tatortgruppe samt Leichenwagen aufgekreuzt war.
„Lauschen Sie?“ Weißmann hatte die Tür so schnell geöffnet, dass sie nicht mehr ausweichen hatte können.
„Warum? Reden Sie mit den Toten?“, gab Breitling zurück und sah ihn angriffslustig an.
„Mit mir selber. Aber nur, wenn ich einen intelligenten Gesprächspartner brauche.“ Dabei lächelte Weißmann sie freundlich an.
Breitling entschloss sich, wieder auf eine professionelle Ebene zurückzukehren, obwohl sie freundliche Blicke im nachhaltigen Trennungsschock durchaus schätzte. „An Überarbeitung ist Jessica Köhlmeier wohl nicht gestorben.“
Weißmann schüttelte den Kopf. „Am GV auch nicht, den sie vor ihrem Tod noch hatte.“
„Grüner Veltliner?“, fragte die Chefinspektorin ungläubig.
„Nein. Geschlechtsverkehr.“
„Oh“, entfuhr es Breitling. Im Vergleich zum Wein nahm dieser Teil des Lebens momentan keinen besonders großen Platz ein. Genaugenommen gar keinen, aber das musste sie Weißmann nicht sagen.
Doktor Weißmann schmunzelte, als hätte er ihre Gedanken gelesen, und sah sie unverwandt an. „Die junge Frau hatte einen extrem niedrigen Blutzuckerspiegel. Zusammen mit der Einstichstelle an ihrem Arm ein Hinweis auf Insulin. Aber Insulin wird vom Körper sehr schnell abgebaut. Ich habe das C-Peptid analysieren lassen. Das hält sich länger. Um es kurz zu machen: Die Dame ist an einer Überdosis Insulin gestorben.“
Als Breitling die Gerichtsmedizin verließ, atmete sie ein paarmal tief die frische Luft ein. Sie hatte das Zimmer von Jessica Köhlmeier durchsucht. Medikamente hatte sie bis auf eine angebrochene Pillenpackung und Thomapyrin keine gefunden, auch keine leere Spritze oder eine Injektionsnadel. Irgendjemand hatte der Elfe einen goldenen Schuss der besonderen Art gesetzt, einen mit Insulin. Warum nur?
„Slavik, auf nach Wolfsberg, zur Wohnung von Köhlmeier“, brüllte sie ins Telefon, während sie zum Auto ging. Ihr Kollege verstand nur ganz klare Anweisungen. Wenn man ihn bat, missverstand er das oft als rhetorische Bitte und brachte seinen Hintern nicht vom Schreibtisch hoch, obwohl der Mann ohnehin nur rund 50 Kilogramm Lebendgewicht auf die Waage brachte, bei geschätzten ein Meter achtzig. Er aß Unmengen und nahm nicht zu. Was für eine Verschwendung von Ressourcen, um nicht zu sagen ökologischer Wahnsinn, so schlecht wie Slavik Futter verwertete. Mit einem Seufzer klopfte sich Breitling auf die Hüftrundung und stieg ein.
„An Armut hat die aber auch nicht gelitten“, sagte Slavik nur, während er eine Stunde später unschlüssig durch das große Wohnzimmer von Jessica Köhlmeier schlurfte. Er klopfte auf eine rote Couch. „Ikea ist das nicht.“
„Rolf Benz“, sagte Breitling nur und raufte sich innerlich die Haare. Offenbar gab es noch gutbezahlte Jobs. Aber dass eine Apothekenhelferin so viel verdiente, dass sie sich dieses Loft leisten konnte samt Designer-Couch, Bulthaup-Küche und Philippe Starck-Lampen, das erschien ihr nicht ganz plausibel. Nach einem kurzen Anruf in der activa-Apotheke, bei Köhlmeiers ehemaliger Arbeitgeberin, war sich die Chefinspektorin sicher, dass die junge Frau eine gute zweite Einnahmequelle gehabt haben musste.
Erst als sie durch die Küche streifte, den feinen Zestenreißer in der Spüle bewunderte und den Thermomix, der angeblich von ganz alleine kochen konnte, half ihr ihre Tollpatschigkeit weiter. Sie stieß gegen den Küchensockel. Dabei öffnete sich eine Lade und lief wie von selbst aus ihrem Verbau. Drei ganz unterschiedliche Toilettentischen lagen einträchtig nebeneinander. Breitling bückt sich stöhnend. In jedem befand sich, was Mann halt so brauchte: Rasierer, Rasierschaum, Zahnbürste, zweimal fand sie sogar einen Kamm.
Das war möglicherweise Köhlmeiers einträglicheres Businessmodell gewesen: die Geliebte von drei Männern zu sein, die dem armen Hascherl sicher finanziell unter die Arme griffen.
Breitling nahm die drei Taschen an sich und drückte die Sockellade unwirsch zu. So etwas Praktisches hätte sie sich auch gewünscht, aber die Laden nachträglich einzubauen, war einfach zu teuer. Noch mehr aber ärgerte sie, wie ungleich die Männer auf der Welt verteilt waren. Das Früchtchen hatte sich drei geschnappt. Sie hatte nicht mal einen.
„Wo gibt’s hier einen guten Rostbraten, Slavik“, brüllte sie und stapfte trotzig aus der Küche.
„Wunderbar!“
Nicole Breitling lehnte sich zurück und war nach dem großartigen Zwiebelrostbraten wieder mit der Welt versöhnt. Essen war ja doch der Sex des Alters. Obwohl. Sie war ja noch nicht mal vierzig. Vielleicht sollte sie ihre Schwerpunkte doch noch mal überdenken.
„Was wissen wir über Köhlmeiers Handy?“, fragte sie Slavik, der bereits die Dessertkarte studierte.
„Nichts. Wir haben es nicht gefunden.“
„Das heißt, der Täter hat es aus guten Gründen mitgenommen“, dachte Breitling laut. „Haben Sie schon beim Handyprovider angerufen und eine Liste der letzten Anrufe geordert?“
Slavik sah sie überrascht an. „Nein…“
„Dann husch-husch, Slavik.“ Breitling deutete mit dem Arm Richtung Tür. Sie musste den Typen unbedingt mit Arbeit eindecken, bevor er sich noch eine Malakoff-Torte oder Ähnliches bestellte und damit auch ihre schwachen Hemmungen vor einer Nachspeise zusammenfielen wie ein Guglhupf, bei dem man zu früh das Backrohr öffnete.
Am nächsten Morgen überflog sie die Liste der Leute, die am Tag von Jessica Köhlmeiers Tod in Maria Waitschach gewesen waren. Abgesehen von Dr. Liebeskind, dem kahlköpfigen Arzt, hatten sich nur Pharmazeuten und ein paar ihrer Angestellten im Wallfahrtsort aufgehalten. Mag. Mälzer und Bettina Sonnwald von der activa apotheke in Wolfsberg hatten die Tote gefunden. Auffällig benommen hatte sich niemand, einzig ein Wiener Pharmazeut, Egon Krawany, war sehr still und blass gewesen.
Um zu erfahren, wer bei Köhlmeier ein und aus ging, hatte sie mit Slavik am Vortag natürlich noch die routinemäßige Tour zu Nachbarn unternommen. Vergeblich. Die Nachbarin nebenan hatte zwar deutliches Interesse am Leben von Köhlmeier gezeigt, aufgrund ihrer Halbblindheit aber keinerlei Personenbeschreibungen geben können. Einzig Geräusche hatte sie aus Köhlmeiers Wohnung gehört. „Sie wissen schon, was ich meine. Wie soll ich sagen. Wenn man jung ist. Da ist man manchmal lauter. Also mit einem Mann. Aber bei mir ist das schon lang her.“
„Bei mir auch“, hatte Nicole Breitling gedacht und geseufzt und dann sofort an einen Schweinsbraten zu denken versucht.
Jetzt saß sie vor den Kontounterlagen aus Köhlmeiers Wohnung. Auch sie gaben nicht sehr viel her. Das Früchtchen hatte seine „Zuwendungen“ von den Geliebten offenbar in bar bekommen. Trotzdem war das Konto bis auf Anschlag überzogen gewesen. Aufschlussreicher waren da schon die Kreditkartenrechnungen. Erst vor zwei Wochen hatte Köhlmeier zwei Tage in einem Hotel auf der Turracher Höhe verbracht.
Sie klopfte sich auf die Oberschenkel. Das war einen Ausflug wert. In etwas mehr als einer Stunde konnte sie von Klagenfurt aus dort sein.
Als sie vor dem Turrachsee rechts einbog, hatte Breitling schon wieder Hunger. Verzweifelt griff sie nach den Reiskeksen am Beifahrersitz. Einmal Abbeißen und die Feinstaubbelastung im Auto stieg lebensbedrohlich an. Sie hustete. Sowas konnte nur jemand erfinden, der dem Leben entsagt hatte.
An der Rezeption zog Breitling ein Foto von Jessica Köhlmeier aus der Tasche. Der freundliche Herr konnte sich nicht an die junge Frau erinnern, weil er zur fraglichen Zeit in Urlaub gewesen war. „Die Chefin ist bald zurück. Sie begrüßt jeden Gast persönlich und kennt die Dame bestimmt.“ Dann starrte er auf Breitlings Stirn, wo sie leichten Schweiß spürte. Schließlich hatte sie gerade vierzig Meter zu Fuß zurückgelegt. „Möchten Sie sich in der Zwischenzeit entspannen? Ich könnte Ihnen das Hamam zur Überbrückung der Wartezeit anbieten, Frau Inspektor.“
Kurz überlegte sie. In ihren Vorschriften war der Besuch eines türkischen Bades während der Dienstzeit nicht explizit verboten. Also konnte sie sich den ermittlerischen Abstecher erlauben.
Hinter der opulenten Wellness-Landschaft betrat sie das türkische Bad und sah sich zuerst einmal hilflos um. Der vorbeigehende Hamam-Meister deutete auf Holzpantoffel und drückte ihr ein kariertes Tuch in die Hand. „Das Pestimal binden Sie über der Brust zusammen.“
Mit Erleichterung nahm sie zur Kenntnis, dass sie hier nicht nackt gehen musste wie in der Sauna. Der Meister schob sie kurz darauf in eine Grotte namens „Syrien“. „So, und jetzt seife ich sie ein.“ Er füllte eine Art Polsterüberzug mit Seifenschaum und deutete auf das Pestimal. Ängstlich drückte Breitling das Tuch unter ihrem Kinn zusammen. „Ziehen Sie sich daheim beim Waschen nicht aus?“, fragte der bärtige Hamam-Meister amüsiert. Sie schloss die Augen und öffnete das Tuch. Das folgende Programm mit einem Seifenbad, Abrubbeln und einer abschließenden kalten Dusche versöhnte sie wieder mit der Welt und allen Mördern. Kurz rastete sie draußen noch auf dem warmen Herzstein, dann ging sie zurück zur Rezeption.
Die Hotelleiterin ließ eben eine Kapsel mit Folsäure in ihre Hand gleiten. Sie erkannte Köhlmeier auf dem Foto sofort. „Die junge Dame war vor circa zwei Wochen da. In Begleitung. Ich weiß noch, dass der Mann keine Haare hatte.“
Der Glatzenbär also.
Aufgebracht warf Nicole Breitling das Papier des Kebabs weg. Wie hatte sie nur auf die Idee kommen können, nach den körperlich wohltuenden Ermittlungen im Luxushotel die schlimmsten Niederungen der Esskultur aufzusuchen? Und wie bitte aß man einen Kebab würdevoll, ohne sich zu bekleckern oder eine Maulsperre aufzureißen?
Dem glatzköpfigen Doktor, mit dem sich das Früchtchen Jessica Köhlmeier im Hotel auf der Turrach vergnügt hatte, oder eher umgekehrt, würde sie jedenfalls ihren Zwiebelatem ins Gesicht blasen, bis er gestand.
„Slavik“, brüllte sie ins Telefon, „Sie steigen in Klagenfurt zu. Dann nehmen wir den Doktor Liebeskind in Leibnitz auseinander. Der hatte ein Pantscherl mit der Köhlmeier. Aber am Tatort hat er einen auf arrogant gemacht. Das wird er mir büßen.“
„Davon bin ich überzeugt“, sagte Slavik nur leise. „Der Gerichtsmediziner Weißmann hat angerufen. Er hat Spuren von Nikotin rund um die Einstichstelle gefunden.“
Zweieinhalb Stunden später standen sie in der Ordination von Dr. Liebeskind. Zuerst war die Chefinspektorin noch bereit gewesen, den Patienten abzuwarten, der sich gerade beim Arzt befand. Aber als der Vorzimmerdrachen Breitling von oben bis unten gemustert und dann ohne zu grüßen gemeint hatte, „Cholesterin und Blutdruck müssen wir auf jeden Fall machen“, da war sofort wieder das schlechte Kebab-Karma in ihr hochgekommen und sie war mit Slavik im Schlepptau einfach durchmarschiert.
„Jetzt weiß ich auch, warum in einem Toilettetäschchen in der Wohnung von Köhlmeier der Kamm gefehlt hat“, sagte sie und schlug mit der flachen Hand auf Liebeskinds Schreibtisch.
Dr. Liebeskind strich sich über seine glatte Kopfhaut.
„Genau, deswegen“, sagte Breitling. „Legen Sie nieder, Liebeskind!“
„Wie bitte?“
„Gestehen Sie, heißt das“, übersetzte Slavik.
„Ich hab die Jessica nicht umgebracht, wenn Sie das meinen“, antwortete der Arzt überrascht. „Ich hatte ein Verhältnis mit ihr, ja.“
Breitling ging einen Schritt auf ihn zu, damit der Glatzenbär zumindest atemtechnisch etwas von ihrem Kebab-Zwiebel abbekam. „Und was sagt Ihre Frau dazu?“
Liebeskind zögerte. „Wir führen eine offene Beziehung.“
„Weiß das Ihre Frau auch?“
Der Arzt sah kurz zwischen Breitling und Slavik hin und her, dann schüttelte er den Kopf. „Ich war’s aber trotzdem nicht. Ich hätte keinen Grund gehabt. Jessica hat mich nicht erpresst. Die wollte gar nicht, dass ich meine Frau verlasse. Ihr reichte es, wenn ich jedes Monat Geld überwies. Warum fragen Sie nicht die anderen beiden, die an Jessica dran waren?“
„Namen, Liebeskind, flottikarotti.“
Angesichts der schwierigen Umstände entschied Liebeskind, sich ausnahmsweise zu unterwerfen. „Ich hab mal auf Jessicas Telefon nachgesehen, weil ich wissen wollte, wie groß, äh, ihr Einzugsbereich ist.“ Liebeskind griff nach einem Bleistift und kritzelte umständlich auf einen Zettel mit dem Logo einer Pharmafirma. „Den ersten können Sie ausschließen. Der war nur ein Geldesel für Jessica und vollauf damit zufrieden, einmal im Monat bei ihr zu übernachten. Den zweiten würde ich mir anschauen.“
„Rauchen Sie eigentlich, Dr. Liebeskind?“, fragte Breitling, als er ihr die Notiz in die Hand drückte.
„Das ist einzige Laster, das ich nie hatte.“
Breitling nickte. Dann blickte sie auf Liebeskinds Zettel und hob überrascht eine Augenbraue.
„Ich fahre“, sagte sie nur, als sie mit Slavik zum Auto ging. „Sie finden in der Zwischenzeit die Telefonnummer von diesem Wiener Pillendreher, Egon Krawany, heraus. Der steht als erster auf der Liste. Fragen Sie ihn einfach, ob er raucht.“
„Warum?“, fragte Slavik.
„Weil der Gerichtsmediziner Nikotinspuren an der Einstichstelle bei Köhlmeier gefunden hat. Wenn er Nichtraucher ist, sparen wir uns die Fahrt nach Wien und nehmen uns gleich Nummer zwei vor.“
„Der ist eine völlige Spaßbremse. Raucht nicht, trinkt nicht“, sagte Slavik zwanzig Minuten später.
„Wozu lebt er dann? Damit er gesund stirbt?“, dachte Breitling laut nach und versuchte sich einen gegrillten Schweinsbauch vorzustellen, damit sie endlich den Geschmack des Kebabs los wurde. Wortlos bog sie Richtung Kärnten ab.
In Wolfsberg fuhren sie von der Autobahn ab. Kurze Zeit später stellten sie den Wagen vor der barbara apotheke ab.
„Wo ist Magister Mälzer?“, brüllte Breitling schon beim Eintreten.
„Der … füllt gerade seinen Nikotinersatz nach“, sagte die Apothekenhelferin und deutete schüchtern nach hinten. Mälzer stand im Garten und zog gierig an einer Zigarette.
Breitling sah ihn mitleidig an. „Konsequent sind Sie offenbar nur beim Morden.“
Mälzer sog tief ein. „Ich wollte doch Bettina heiraten. Jessica hat mich erpresst. Sie wollte unsere Affäre öffentlich machen.“
„Ja eh. Und sowas regelt man dann mit einer Überdosis Insulin?“
Breitling suchte in ihrer Hosentasche nach Handschellen. Dabei kam ihr der Zettel von Dr. Liebeskind wieder in die Hände. Er hatte auch auf die Rückseite gekritzelt. Unter seiner Mobilnummer stand „Möchten Sie nicht mal mit mir Essen gehen?“