Paula hatte ihre Urlaubstage am Wörthersee genossen, war zum Shoppen nach Villach und Klagenfurt gefahren, hatte ausgiebige Wanderungen unternommen und einige Euros im Casino Velden verspielt. Am letzten Morgen erhob sie sich wie gerädert aus dem Bett. Ihr Hals schmerzte, sie fröstelte. Kein Wunder: Sie hatte vergessen, die Klimaanlage auszuschalten. Was, wenn sie eine Lungenentzündung bekam, schoss es Paula, die zur Hypochondrie neigte, durch den Kopf. Sie fasste sich an die Stirn. Hatte sie Fieber? Ihr Entschluss war rasch gefasst. Bevor sie die Heimfahrt nach Wien antrat, wollte sie noch eine Apotheke besuchen. Paula hielt sich strikt an die Empfehlung, über Wirkungen und Nebenwirkungen ihren Apotheker zu fragen. Zu Hause wandte sie sich immer an ihre team santé-Apothekerin. Doch Wien war fast vier Stunden entfernt. Wer wusste, ob sich ihr Gesundheitszustand bis dahin nicht rapide verschlechterte? Paula erinnerte sich, dass sie bei ihrem Villach-Besuch an einer Apotheke der team santé-Gruppe vorbeigekommen war. Dort würde man ihr bestimmt helfen können. Nachdem sie die Koffer in ihrem Auto verladen hatte, brach sie nach Villach auf, um sich in der dortigen team santé oberen apotheke beraten zu lassen. Meistens konnte ein gesundheitliches Problem umso effizienter behandelt werden, je rascher es diagnostiziert wurde. Paula betrat die Apotheke in der 10.-Oktober-Straße. Alle Berater waren gerade mit Kunden beschäftigt. Während Paula wartete, bis sie an der Reihe war, sah sie sich in dem hellen Raum um und fand eine interessante Broschüre über Gesundheits-Screenings, die sie sich durchlas. Sobald sie wieder in Wien war, würde sie ein solches Screening machen und sich auf gesundheitliche Risikofaktoren durchchecken lassen. Sicherheitshalber. Schließlich tat es nicht weh, Körpergewicht, Body-Mass-Index, Körperfett, Blutzucker, Cholesterin und Blutdruck zu ermitteln. Ein wohlgenährter Mann, der soeben bei der Tür hereinstürmte, unterbrach ihre Gedanken. „Dem würde ein Gesundheitscheck auch nicht schaden“, dachte Paula.
„Werner Ratz“, rief der Neuankömmling so laut, dass alle Anwesenden sich nach ihm umdrehten. „Ich komme von der Pharmafirma…“, setzte er erneut an, wurde aber von einer der Apothekerinnen unterbrochen.
„Ich weiß, von welcher Firma Sie kommen, Herr Ratz. Sie haben sich ja schon mehrmals angekündigt. Dr. Kirsch hat gerade ein Beratungsgespräch mit einem Kunden. Wenn Sie sich bitte kurz gedulden würden. Er wird sich gleich um Sie kümmern…“ Sie schickte ein freundliches Lächeln hinterher und widmete sich wieder der älteren Dame, der sie die Einnahme eines Medikaments erklärte.
Werner Ratz nickte, stellte seinen Rollkoffer neben der Eingangstür ab und verließ die Apotheke. Paula sah den fülligen Mann draußen mit einem Glimmstängel hektisch auf und ab gehen und aufgeregt in sein Handy sprechen. Zigaretten waren das reinste Gift, eine team santé-Raucher-Entwöhnung würde dem Mann guttun, war sie überzeugt. Nikotin-Pflaster, Kaugummis, Inhaler, Microtabs und Mint-Lutschtabletten gab es hier sogar rezeptfrei. Paula sah, wie sich Ratz einen weiteren Glimmstängel anzündete. Plötzlich taumelte der Pharmavertreter, fasste sich an den Hals, stürzte und blieb reglos auf dem Gehsteig liegen.
„Du meine Güte, der Pharmavertreter …!“ Paula deutete mit dem Zeigefinger nach draußen.
„Ruf sofort einen Notarzt“, sagte Dr. Kirsch, der just in diesem Moment den Verkaufsraum betrat. „Ich versuche ihm zu helfen …“ Er lief hinaus und Paula heftete sich an seine Fersen. Mit gekonnten Griffen versuchte der Apotheker den Mann wiederzubeleben. Doch alle Versuche waren vergeblich. Der Notarzt, der mit der Rettung eintraf, konnte nur noch den Tod feststellen.
„Übergewicht, Rauchen und Stress sind ein tödlicher Cocktail“, resümierte er trocken. Fremdverschulden schloss er aus. Nachdem der Tote abtransportiert worden war, kehrte Paula zurück in die Apotheke. Allen stand der Schreck ins Gesicht geschrieben. Das Handy des Mannes hatte Paula in der Aufregung an sich genommen. Vielleicht fand sich eine Kontaktperson im Speicher, die sie vom plötzlichen Tod des Mannes unterrichten konnte. Den Zugangscode knackte sie beim zweiten Versuch. Da die meist verwendete Ziffernkombination „0000“ nicht funktionierte, probierte sie es mit „1234“ und landete einen Volltreffer. Unter Ratz fand sie keinen Eintrag in den Kontakten. Also versuchte sie es im SMS-Speicher. Vielleicht war eine Nachricht dabei, die auf einen Familienangehörigen oder zumindest einen engen Freund schließen ließ.
„Wenn du nicht aufpasst, wirst du bald deine letzte Zigarette rauchen“, las sie da. Absender unbekannt. Paula lief nochmals hinaus zu der Stelle, wo der Tote gelegen war. Vorsichtig hob sie mit einem Papiertaschentuch den Zigarettenstummel auf. „Wir sollten die Polizei rufen“, sagte sie, zurück in der Apotheke. „Ich befürchte, das war kein natürlicher Herztod.“
„Was dann?“, fragte Dr. Kirsch verwundert.
„Mord? Du liebe Güte. Wie kommen Sie denn darauf?“ Dr. Kirsch von der team santé oberen apotheke hegte begründete Zweifel an Paulas Verschwörungstheorie: „Der Notarzt hat doch klar und deutlich gesagt, dass Fremdverschulden auszuschließen ist.“
Paula erzählte dem Apotheker von der SMS-Drohung auf dem Handy des Pharmavertreters. „Wenn du nicht aufhörst, wirst du bald deine letzte Zigarette rauchen“, las sie ihm vor. „Vielleicht ist Ratz an einer vergifteten Zigarette gestorben“, spekulierte sie. „Können Sie feststellen lassen, ob in diesem Zigarettenstummel Gift ist?“ Paula legte die Überreste der Zigarette, die der Pharmavertreter zuletzt geraucht hatte, auf den Tresen.
„Meinen Sie nicht, dass das alles ein bisschen weit hergeholt ist?“, gab Dr. Kirsch zu bedenken. Paula musste ihm zustimmen. Was, wenn sie die Nachricht falsch interpretierte und diese nur ein schlechter Scherz war? Vielleicht hatte Ratz die eigenartig formulierte Nachricht von einem Freund erhalten, der ihn motivieren wollte, mit dem Rauchen aufzuhören. Wer brachte jemanden um, nur weil er rauchte? Es war möglich, dass der Pharmavertreter jemanden erpresst hatte, fremdgegangen war oder krumme Geschäfte gemacht hatte. Bislang waren das aber nur wilde Spekulationen.
Dr. Kirsch unterbrach Paulas Gedanken: „Auch wenn ich nicht glaube, dass an Ihrem Verdacht etwas dran ist, werde ich die Zigarette untersuchen lassen. Sicher ist sicher.“
Paula bedankte sich und gab ihm ihre Handynummer für den Fall, dass er sie kontaktieren wollte. Obendrein vereinbarten sie, zumindest im Moment mit niemandem über die Angelegenheit zu sprechen.
„Eigentlich bin ich zu Ihnen gekommen, weil ich ein Mittel gegen meine Verkühlung brauche“, kehrte sie zum eigentlichen Grund für ihren Besuch zurück.
Der Apotheker empfahl ihr unter anderem Ginkgo-Ginseng. „Dieses Naturmittel hilft dem Immunsystem und ist ein bewährtes Mittel gegen Müdigkeits- und Schwächegefühle.“
Als Paula die Apotheke verließ, fiel ihr Blick auf den Musterkoffer, den der Pharmavertreter neben dem Eingang abgestellt hatte. Sie blickte sich um. Niemand nahm Notiz von ihr, alle waren mit anderen Kunden beschäftigt. Ohne lange nachzudenken, nahm Paula den Koffer des Toten, rollte ihn zu ihrem Auto und öffnete ihn. Er war mit verschiedenen Medikamenten und Produktinformationen vollgestopft. Inmitten eines Papierstapels stach ein gelbes Kuvert hervor, auf dem mit blauem Filzstift „für Herrn Werner Ratz“ geschrieben stand. Vorsichtig öffnete Paula den Briefumschlag, zog ein Blatt Papier hervor und entfaltete es, um denselben Text zu lesen, der schon in der SMS stand. Vielleicht war ihr Verdacht doch mehr als reine Spekulation? Auf das Kuvert hatte jemand einen Pfeil, eine Klagenfurter Adresse und dahinter ein Rufzeichen gekritzelt. Paulas Neugier war geweckt. Die Kärntner Landeshauptstadt lag auf ihrer Heimfahrtstrecke, möglicherweise fand sich dort ein Hinweis. Keine halbe Stunde später war Paula am Völkermarkter Ring 14 in Klagenfurt angelangt. Schon wieder stand sie vor einer team santé apotheke. Zufall oder eine heiße Spur? Paula verlor keine Zeit und betrat die moderne Obelisk Apotheke mit der großen Kosmetikabteilung. Wenn sie ehrlich war, hätte sie sich viel lieber mit den zahlreichen Anti-Age-Produkten in den Regalen beschäftigt, als in einem Kriminalfall zu ermitteln, von dem noch nicht einmal feststand, dass es einer war. Doch gegen ihr Ermittlungsfieber gab es keine Arznei. Als Paula an der Reihe war, bestellte sie eine Packung Melissentee. Der war gut bei Erkältungen, beruhigte die Nerven und führte zu einem ruhigen, erholsamen Schlaf, der immer noch das beste Mittel gegen ein geschwächtes Immunsystem war.
„Kennen Sie einen Herrn Werner Ratz?“, fragte sie den Apotheker während sie bezahlte.
„Natürlich kenne ich ihn. Er war erst heute Früh bei uns“, antwortete Mag. Hannes Heller freundlich.
„Ist Ihnen etwas Ungewöhnliches an ihm aufgefallen? Hatte jemand Streit mit ihm?“
„Das sind aber eigenartige Fragen“, stellte der Apotheker fest und sah Paula skeptisch an. „Nicht, dass ich wüsste. Auch wenn Ratz es manchmal drauf anlegt …“
„Anlegte …“, korrigierte ihn Paula. „Ratz ist heute vor der team santé oberen apotheke in Villach an plötzlichem Herzversagen verstorben.“
„Was sagen Sie?“ Mag. Heller starrte Paula sichtlich erschrocken an. „Kann ich irgendetwas für Sie tun? Sind Sie eine Verwandte?“
„Nicht direkt“, wich Paula seiner Frage aus. „Ich habe nur einen Brief gefunden und auf dem Kuvert steht Ihre Adresse. Da dachte ich, vielleicht ist Ihnen irgendetwas Verdächtiges aufgefallen.“
„Wie meinen Sie das? Ist Ratz nicht eines natürlichen Todes gestorben?“
„Der Notarzt schließt Fremdverschulden aus, aber da war ein Brief in einem gelben Kuvert ...“
„Meinen Sie vielleicht ein gelbes Kuvert, auf dem mit blauem Filzstift ‚für Herrn Werner Ratz‘ steht? Das habe ich ihm heute ausgehändigt. Den Inhalt kenne ich nicht, aber ich weiß, von wem der Umschlag stammt. Mag. Tobias Kubitzer, der Leiter der team santé barbara apotheke in Wolfsberg hat mich beim letzten Treffen gebeten, Herrn Ratz bei nächster Gelegenheit das Kuvert zu geben.“
Paula blieb der Mund offenstehen. Nie hätte sie gedacht, dass der ominöse Drohbrief in dem gelben Kuvert von einem Apotheker der team santé-Gruppe stammte.
„Wenn Sie möchten, gebe ich in der team santé barbara apotheke in Wolfsberg Bescheid, dass Sie vorbeikommen“, bot Mag. Heller von der team santé obelisk apotheke an.
Paula bedankte sich und fuhr los. So kränklich, wie sie sich fühlte, wäre sie am liebsten sofort nach Wien gefahren und hätte die ganzen Nachforschungen rund um den Tod des PHharmavertreters dem Universum überlassen. Die Vorstellung, sich mit einer Tasse Melissentee vor die Flimmerkiste zu setzen und sich auszukurieren, war verlockend. Doch ihr Ehrgeiz, den mysteriösen Fall zu lösen, ließ ihr keine Ruhe. Den nächsten Zwischenstopp machte sie in Wolfsberg, um Mag. Kubitzer zu befragen. Ihr Magen knurrte. Es war kurz vor Mittag. Höchste Zeit, sich zu stärken. Der Bauernmarkt am Weiherplatz im Zentrum von Wolfsberg kam ihr gerade recht. Paula kostete sich durch die Kärntner Spezialitäten und kaufte noch einen Vorrat für zuhause ein. Dermaßen gestärkt erreichte sie die team santé barbara apotheke in der nahe gelegenen Krankenhausstraße 16.
„Frau Ender?“ Kaum dass Paula die Apotheke betreten hatte und sich umsah, wurde sie von einem Herrn angesprochen. Er schien auf sie gewartet zu haben und stellte sich als Dr. Fuchs vor. „Ich habe vorhin einen Anruf vom Leiter der Klagenfurter team santé apotheke erhalten. Er hat Sie angekündigt und kurz gesagt, dass Sie versuchen, einige Ungereimtheiten um den Tod von Herrn Ratz zu klären.“ Er sah sich um. „Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie hier beim Eingang abfange, aber mir ist Diskretion sehr wichtig. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, wäre es sehr nett von Ihnen, wenn diese Angelegenheit unter uns bleiben würde“, erklärte Fuchs. „Ich kann bestätigen, dass Mag. Kubitzer das gelbe Kuvert weitergegeben hat, aber ich kann Ihnen versichern, dass er keine Ahnung hatte, dass sich darin ein Drohbrief befand.“ Fuchs erzählte, dass der Leiter der Apotheke nicht zu sprechen sei, weil er auf einem Apothekerkongress referieren musste. „Aber er könnte Ihnen ohnehin nicht mehr sagen als ich.“ Dann erzählte ihr Fuchs alles, was er über Ratz wusste und lieferte Paula damit gleich mehrere Tatverdächtige. Ratz‘ Exfrau hasste ihn, weil sie nach einem mehrjährigen Rosenkrieg nahezu leer ausgegangen war. Seine beiden Kinder mussten ihre Ausbildung abbrechen, weil der Vater nicht einmal die gesetzlich vorgeschriebenen Zahlungen leistete. Zu allem Überfluss hatte Ratz aufgrund seiner Alkoholkrankheit nicht nur berufliche Probleme gehabt, sondern sich auch mit vielen Personen zerstritten.
„Waren Sie mit ihm befreundet?“, suchte Paula nach einer Erklärung für so viel Wissen.
Fuchs verneinte. „Ich habe Ratz kürzlich in einem Lokal getroffen. Er war schon ziemlich betrunken und hat mir sein Herz ausgeschüttet“.
„Könnten Sie sich vorstellen, dass irgendjemand von team santé in den Fall verwickelt ist?“, überlegte sie.
„Nein, natürlich nicht. Obwohl – es gab einen Streit zwischen Ratz und einer Studentin, die ein Praktikum in der team santé apotheke wieneu in Wiener Neudorf absolvierte. Aber dazu kann ich nichts Konkretes sagen. Da müssten Sie schon vor Ort nachfragen.“ Er blickte auf die Uhr. „Wenn Sie sich beeilen, schaffen Sie es noch vor Ladenschluss …“
„Herr Fuchs, könnten Sie bitte ins Lager kommen?“, unterbrach eine Apothekerin das Gespräch.
Fuchs blickte nervös zu Paula. „Ich muss jetzt los. Ich hoffe auf Ihre Diskretion …“
Paula versicherte ihm, dass er sich auf sie verlassen könne.
„Kann ich Ihnen weiterhelfen?“, erkundigte sich die Apothekerin bei Paula. Zu gern hätte sie die Frau gefragt, ob sie von dem Streit zwischen Ratz und der Studentin wusste, aber sie hielt sich an das Versprechen, das sie Dr. Fuchs gegeben hatte.
„Stimmt es, dass man Hämorrhoidensalbe auch gegen Gesichtsfalten verwenden kann?“, fragte Paula stattdessen. Die Frau lächelte sie an.
„Nein, das kann ich Ihnen wirklich nicht empfehlen“, antwortete sie und informierte Paula über die Vorzüge moderner Anti-Age-Produkte. „Auf der team santé-Website finden Sie auch noch viele Tipps zum Thema ‚schön bleiben‘.“
Als Paula die Apotheke verließ, war der Fall Ratz zwar noch immer nicht aufgeklärt, dafür wollte sie künftig den Alterungsprozess ihrer Haut verzögern – mit der Pflegeserie, die sie gerade gekauft hatte. Es war höchste Zeit Gas zu geben, wenn sie bald in Wiener Neudorf eintreffen wollte. Während der Fahrt zermarterte sie sich den Kopf über die vielen offenen Fragen: War der Pharmareferent doch eines natürlichen Todes gestorben oder war er vergiftet worden? War das anonyme Schreiben nur ein Scherz oder stammte es von seinem Mörder? Und: Wer hatte es geschrieben? Keine der Personen, mit denen sie bisher gesprochen hatte, erweckte in ihr den Eindruck ein Mörder zu sein. Vielleicht bekam sie in der team santé apotheke wieneu einen brauchbaren Hinweis.
„Ich habe ihn gewarnt“, sagte Mag. Günther Fink, als Paula ihn zu Ratz befragte. „Aber er wollte ja nicht auf mich hören.“ Dann erzählte der Apotheker, dass der Pharmareferent sich Hals über Kopf in eine junge Praktikantin verliebt hatte. Sein Pech sei es nur gewesen, dass diese keinerlei Interesse an dem fast doppelt so alten und nicht gerade ansehnlichen Mann gehabt hatte. „Ich erinnere mich noch sehr gut, wie Linda Lang ihn einmal vor allen Kunden ausgelacht hat. Dermaßen gedemütigt tat er mir leid, aber andererseits war er selbst schuld an seiner Situation.“ Die Praktikantin habe sich abends immer von ihrem Freund abholen lassen, weil sie fürchtete, dass Ratz ihr auflauern und sie belästigen könnte.
„Arbeitet diese Linda noch bei Ihnen?“, erkundigte sich Paula.
Mag. Günther Fink verneinte. „Sie ist nach Wien gezogen und arbeitet in der team santé paulus apotheke.“
„Sie sprechen jetzt aber nicht von einer hübschen Rothaarigen mit Sommersprossen?“, fragte Paula.
Doch, genau von dieser spreche er, antwortete er. „Kennen Sie sie?“
Und ob Paula die junge Frau kannte. Sie arbeitete in Paulas team santé Stammapotheke in der Landstraßer Hauptstraße 171. Besagte Linda hatte Paula für den Urlaub in Kärnten eine extragroße Tube Gelsenschutzmittel empfohlen. Nun gehörte sie zu Paulas Hauptverdächtigen.
Paula erreichte kurz vor Ladenschluss die team santé paulus apotheke, in der Linda Lang arbeitete.
„Ah, Sie sind schon wieder aus Kärnten zurück. Hat das Gelsenschutzmittel gewirkt, das ich Ihnen empfohlen habe?“, erkundigte sich Linda freundlich.
War es möglich, dass diese hübsche, fürsorgliche Person eine eiskalte Mörderin war? Zugriff zum Gift hätte sie ebenso gehabt wie ein Motiv.
„Stellen Sie sich vor: Als ich heute in die team santé obere apotheke in Villach gegangen bin, war ich Zeugin, wie Werner Ratz verstorben ist“, erzählte Paula und beobachtete dabei Lindas Reaktion.
„Ratz? Du meine Güte!“ Erschrocken legte Linda eine Hand auf den Mund. „Das wollte ich nicht“, jammerte sie und ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Ich wollte doch nicht, dass er stirbt ...“
So enttäuscht Paula auch war, die sympathische junge Frau hatte sich soeben verraten. Woher konnte sie wissen, dass Ratz keines natürlichen Todes gestorben war? Paula war sicher, dass sich alle Apotheker, mit denen sie heute gesprochen hatte, an die vereinbarte Diskretion gehalten hatten.
„Ich denke es wird am besten sein, wenn Sie mir erzählen, warum und wie Sie Ratz getötet haben“, schlug Paula vor.
Linda sah sie verstört an. „Ich? Ratz töten? Um Gottes willen, nein. Das würde ich nie tun, so sehr er mir auch zuwider war. Aber ich fürchte, dass ich weiß, wer es war und das ist genauso schlimm.“ Dann erzählte Linda, dass ihr Freund Gernot in letzter Zeit häufig Andeutungen gemacht hatte, er werde Ratz klar machen, dass er sie endlich in Ruhe lassen solle. „Niemals hätte ich gedacht, dass er bis zum Äußersten geht“, flüsterte sie sichtlich erschüttert. Gernot sei Chemiker, erzählte sie weiter, und kenne sich gut mit Giften aus. Außerdem habe er auch Zugang zu solchen Substanzen.
Wie aufs Stichwort öffnete sich die Eingangstür und Lindas Freund betrat die team santé paulus apotheke, um sie abzuholen. Als er Linda weinend hinter der Theke sah, verschwand das Lächeln schlagartig aus seinem Gesicht.
„Was ist hier los? Hat dich wieder dieser Ratz belästigt?“, polterte er los. „Wenn der dich nicht bald in Ruhe lässt, verpass‘ ich ihm eine Abreibung …“
Linda blickte ihn ungläubig an. „Dann hast du nichts mit seinem Tod zu tun?“
„Wer ist tot? Ratz? Damit habe ich nichts zu tun“, verteidigte sich Gernot.
„Gott sei Dank“, seufzte Linda.
Paula erklärte dem jungen Mann, dass Ratz möglicherweise eines unnatürlichen Todes gestorben war. „Vielleicht können Sie mir als Chemiker sagen, ob es möglich ist, eine Zigarette zu vergiften?“
„Grundsätzlich ja.“ Gernot nickte. „Theoretisch ist es auch möglich, dem Tabak Zyanid beizusetzen.“ Dann erzählte er, dass schon 0,1 Gramm des Giftes genügten, um die Zellatmung zu lähmen und dass der Tod sehr schnell eintrete. „Wenn jemand an der Substanz stirbt und es besteht kein Tatverdacht, diagnostiziert jeder Hausarzt einen Herzstillstand“, stellte er fest. „Man müsste bei der Leiche schon gezielt nach Zyanid suchen, sonst landet sie als Herzinfarktopfer im Grab.“
So wie Ratz, dachte Paula. Ihr Handy läutete. Dr. Sascha Kirsch von der team santé obere apotheke in Villach war am Apparat und erzählte ihr, dass das Labor tatsächlich Zyankali in Ratz‘ letztem Zigarettenstummel gefunden hatte.
„Ihre Mordtheorie hat sich also bestätigt und ich muss mich entschuldigen, dass ich zunächst daran gezweifelt habe.“
Paula erzählte dem Apotheker von ihren Gesprächen in den team santé apotheken. Als sie Dr. Fuchs erwähnte, lachte er laut auf.
„Fuchs ist kein Apotheker und schon gar kein Doktor. Er hilft nur aus. Übrigens hatte er erst kürzlich einen ziemlichen Streit mit Ratz, weil der ihn wegen irgendetwas aufliegen lassen wollte. Worum genau es sich handelte, kann ich Ihnen leider nicht sagen.“
Fuchs! Bei Paula klingelten die Alarmglocken. Und mit einem Schlag erinnerte sie sich daran, was sie am Gespräch mit ihm gestört hatte: Obwohl Paula nur von einem gelben Kuvert sprach, hatte Fuchs sofort Bescheid gewusst, dass ein Drohbrief darin war. Der Mann hatte demnach nicht nur ein Motiv und die Möglichkeit, er hatte sich auch verraten. Paula erzählte Dr. Kirsch von ihrem Verdacht und bat ihn, die Polizei zu informieren. Die würde Fuchs dank des Laborergebnisses rasch überführen und ihn dingfest machen. Für Paula waren die Ermittlungen erledigt. Sie konnte es nicht mehr erwarten, endlich nach Hause zu kommen und sich einen entspannten Abend mit Tee und Kärntner Schmankerl zu gönnen. Danach würde sie mit ihrer Anti-Age-Pflege beginnen …